Verminderte Erwerbsfähigkeit
Verminderte Erwerbsfähigkeit
Verminderte Erwerbsfähigkeit resultiert aus einem krankheits- bzw. behinderungsbedingten Zustand physischer oder psychischer Schwäche, der die Fähigkeit eines Menschen vereitelt oder einschränkt, seinen Lebensunterhalt durch Ausübung einer beruflichen Tätigkeit zu verdienen. Im Gegensatz zum
Grad einer Behinderung bezieht sie sich ausschließlich auf die Leistungsfähigkeit im Berufsleben und nicht auf andere Lebensbereiche.
Österreich
Der Sachverhalt in Österreich wird im Artikel Invaliditätspension beschrieben.
Deutschland
In Deutschland spielt dieser Begriff vor allem für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rolle. Seit 1. Januar 2005 ist die Erwerbsfähigkeit auch ein Kriterium dafür, ob man Ansprüche nach demSGB-II (Arbeitslosengeld II) oder nach dem Sozialhilferecht (SGB-XII) (hier Grundsicherung im Alter oder bei voller Erwerbsminderungoder Hilfe zum Lebensunterhalt) hat, sofern man seinen Lebensunterhalt nicht selbst sicherstellen kann.
Rechtslage seit 1. Januar 2001
Die anspruchsbegründende Gesetzesnorm wurde durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) neu gefasst. Erwerbsgemindert sind Personen, die keine sechs Stunden mehr am Tag arbeiten können. Unterschieden wird nunmehr zwischen voller Erwerbsminderung, teilweiser Erwerbsminderung und (übergangsweise) teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit:
Volle Erwerbsminderung
Volle Erwerbsminderung ist dann gegeben, wenn die Erwerbsfähigkeit derart eingeschränkt ist, dass Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden täglich verrichtet werden können.[1] Unabhängig von dieser quantitativen Grenze können aber auch bestimmte qualitative Einschränkungen zur vollen Erwerbsminderung führen, selbst dann, wenn bei Beachtung dieser Einschränkungen noch ein über drei- oder gar über sechsstündiges Leistungsvermögen vorliegt. Zu solchen Einschränkungen gehören z.B. die sogenannte Wegefähigkeit, also die Fähigkeit, einen Arbeitsplatz überhaupt erreichen zu können, oder die Summe vieler, ungewöhnlicher Einschränkungen, wie auch die Notwendigkeit betriebsunüblicher Pausen; kann die Erwerbstätigkeit nicht mehr regelmäßig ausgeübt werden, so liegt ebenfalls (volle) Erwerbsminderung vor.
Teilweise Erwerbsminderung
Eine teilweise Erwerbsminderung liegt vor, wenn der Antragsteller auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – unabhängig vom erlernten Beruf– nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich tätig sein kann.[1]
Besonderheit „Arbeitsmarktrente
Bei Vorliegen einer teilweisen Erwerbsminderung kann eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als sogenannte Arbeitsmarktrentegewährt werden, wenn der (Teilzeit-)Arbeitsmarkt als verschlossen gilt. Das ist der Fall, wenn der Versicherte keinen seinem Leistungsvermögen entsprechenden (Teilzeit-)Arbeitsplatz innehat oder ihm kein solcher angeboten werden kann.
Abstrakte Verweisung
Kann irgendeine Arbeit mindestens sechs Stunden täglich durchgeführt werden, so liegt keine Erwerbsminderung vor. Jede Verweisung ist möglich, ein sozialer Abstieg ist irrelevant. Vom Rentenversicherungsträger muss keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden: Es reicht aus, wenn dargestellt wird, unter welchen Voraussetzungen eine Beschäftigung möglich wäre (z. B. leichte Arbeit, im Sitzen, ohne Lärm). Eine konkrete Verweisungstätigkeit muss nur benannt werden, wenn außergewöhnliche Einschränkungen vorliegen.
Beispiel: Ein leitender Angestellter, Geburtsjahrgang 1962 oder jünger, kann noch als Verpacker sechs Stunden täglich arbeiten. Er ist in keiner Weise erwerbsgemindert. Er hat keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente.
Eine Sonderregelung gilt nach § 240 SGB VI für vor dem 2. Januar 1961 geborene Versicherte. Diese genießen auf Grundlage ihrer beruflichen Qualifikation Berufsschutz und erhalten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, d. h. die Hälfte des Betrags der Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Feststellung der Rest-Erwerbsfähigkeit
Die Resterwerbsfähigkeit wird oft durch die beim Rentenversicherungsträger angestellten Ärzte beurteilt, bei Bedarf mit Unterstützung durch externe ärztliche Gutachter. Dabei wird der Gutachter im Rentenantrags- und im Widerspruchsverfahren vom jeweiligen Versicherungsträger bezahlt. Die Beurteilung der Resterwerbsfähigkeit muss nach dem Willen des Gesetzgebers vollständig, umfassend und unter Beachtung der Wechselwirkungen der verschiedenen Krankheiten geschehen. Insbesondere bei seltenen Krankheiten und bei Krankheiten, bei denen man z.B. mit Röntgenuntersuchungen, Labormessungen usw. nur wenig oder nichts objektivieren kann, ist die Beurteilung schwierig.
Rechtsbehelf
Sofern das Widerspruchsverfahren nicht im Sinne des Versicherten verläuft, steht der Rechtsweg offen. Zuständig ist das dem Wohnsitz des Antragstellers zugeordnete Sozialgericht.
Höhe
Die volle Erwerbsminderungsrente hat den Rentenartfaktor 1, die teilweise Erwerbsminderungsrente den Rentenartfaktor 0,5.
Zugrunde gelegt werden die erreichten Entgeltpunkte ebenso wie bei den anderen Rentenarten. Falls die Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahr eintritt, so wird die Zeit bis dahin als Zurechnungszeit behandelt.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer, der mit Vollendung des 17. Lebensjahres jedes Jahr durchschnittlich verdient, also im Jahr 2011 2555 Euro brutto monatlich, erhält für jedes gearbeitete Jahr einen Entgeltpunkt, für die noch nicht durchlebten Jahre bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres werden ihm entsprechend seinem bisherigen Durchschnitt, jeweils ein Entgeltpunkt hinzugerechnet. Er kommt somit auf 43 Entgeltpunkte. Für jeden Monat, den der Rentenbeginn vor Vollendung des 63. Lebensjahres liegt, wird der Zugangsfaktor reduziert, maximal um 0,108. Die monatliche Rente beträgt bei voller Erwerbsminderung in Westdeutschland im Durchschnitt 1043 Euro.
Hinzuverdienst
Erzielt ein Versicherter neben der Rente einen Hinzuverdienst aus einer Beschäftigung oder einer selbständigen Tätigkeit oder bestimmte Lohnersatzleistungen, so wird die Rente nach § 96a SGB VI ganz oder teilweise nicht geleistet, wenn die maßgeblicheHinzuverdienstgrenze überschritten wird.
• Die Hinzuverdienstgrenze beträgt,
• bei der Rente wegen voller Erwerbsminderung 450 Euro (seit 1. Januar 2013
• bei Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung in voller Höhe das 0,23fachen der monatlichen Bezugsgröße, vervielfältigt mit der Summe der Entgeltpunkte der letzten drei Kalenderjahre vor Eintritt der teilweisen Erwerbsminderung, wobei mindestens 1,5
Punkte angesetzt werden. Im Jahr 2011 ist danach in jedem Fall ein Hinzuverdienst in Westdeutschland von bis zu 881 Euro und in Ostdeutschland von 772 Euro ohne Wegfall der Rente möglich.
• bei Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe der Hälfte das 0,28fache der monatlichen Bezugsgröße, vervielfältigt mit der Summe der Entgeltpunkte der letzten drei Kalenderjahre vor Eintritt der teilweisen Erwerbsminderung, wobei mindestens 1,5 P
unkte angesetzt werden, übersteigt. Im Jahr 2011 liegt diese Hinzuverdienstgrenze somit mindestens bei 1073 Euro im Westen und 940 Euro in Ostdeutschland bei Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung in voller Höhe
• Nicht als Hinzuverdienst gelten nach § 96a Abs. 1 Satz 4 SGB VI bzw. § 313 Abs. 8 SGB VI:
• Leistungen für Pflegetätigkeiten einer Pflegeperson bis zur Höhe des entsprechenden Pflegegeldes der Pflegeversicherung
• Einkünfte, die in einer Werkstatt für Behinderte oder in einer ähnlichen Einrichtung erzielt werden und
• bis zum 30. September 2015 Aufwandsentschädigungen für kommunale Ehrenbeamte, für ehrenamtlich in kommunalen Vertretungskörperschaften Tätige oder für Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, Versichertenälteste oder Vertrauenspersonen der Sozialversicherungsträger, soweit kein konkreter Verdienstausfall ersetzt wird.
Statistische Angaben
Im Jahr 2011 bezogen etwa 1,63 Millionen Menschen Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, rund 1,61 Millionen davon die Rente wegen voller Erwerbsminderung, ca. 102.000 Menschen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.[3] Der durchschnittliche Zahlbeitrag nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherung lag bei 596 Euro.[4]
Rechtslage bis 31. Dezember 2000
In der gesetzlichen Rentenversicherung wurde zwischen Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit unterschieden:
Erwerbsunfähigkeit
Erwerbsunfähigkeit lag vor, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande waren, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) überstieg. Erwerbsunfähig war nicht, wer eine selbständige Tätigkeit ausübte oder eine Tätigkeit vollschichtig ausüben konnte. Dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.[5]
Berufsunfähigkeit
Berufsunfähig waren Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken war.[6] Der Versicherte durfte demnach nicht mehr im Stande sein, die erlernte oder die zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübte Berufstätigkeit oder aber eine zumutbare Verweisungstätigkeit auszuüben.
Die Rente wegen Berufsunfähigkeit betrug 2/3 der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.